Sonntag, 30. November 2014

Kleine Helden, Große Mythen

Die Sonne stand zum Anpfiff tief. Dennoch ronnen den meisten Spielern bereits beim Betreten des staubigen Spielfeldes salzige Tropfen die Stirn hinab. Österreich gegen Italien.  Die Azzurri kürten sich erst wenige Monate zuvor in Berlin zum Weltmeister. Frisch gebacken also. Das Selbstvertrauen konnte man in ihren dunklen Augen sehen. Nicht nur auf Grund des Titelgewinns. Historisch. Und überhaupt. Wir waren ja nur Österreicher. Überwiegend mit Spielern von steirischen und niederösterreichischen Vereinen. Es lag schon eine beträchtliche Zeit zurück als Vereine aus diesen Bundesländern das Gros des Nationalteams stellten. Auch ein Wiener stand im Aufgebot, kurioserweise von keinem der beiden großen Vereine. Auf der anderen Seite sie, die Italiener. Womöglich aus den schillernden Metropolen Mailand und Turin. Oder aus dem chaotischen Süden, Römer und Neapolitaner. Schnell lagen die Südländer mit zwei Toren voran. Das vorwiegend italienische Publikum entzückt. Das übliche Spiel bahnte sich an. Österreich war völlig von der Rolle, unorganisiert, die meisten von uns technisch unterlegen. Mit dem Rückstand schien auch die Hoffnung zu schwinden. Unsere Mannschaft steckte aber nicht auf, die Azzurri boten uns Paroli. Jeden Treffer den wir markierten, konterten die Italiener mit einem weiteren, sodass der Rückstand nicht und nicht schmelzen wollte. Flüche waren zu hören. „Wappler!“ Das Spiel wurde ruppiger. Eingeschüchtert durch die unerwartet forsche Spielweise der Österreicher, fühlte sich die Squadra sichtlich unwohl. „Cazzo!“. Hektisch dirigierte ihr lang gewachsener Abwehrchef, „Sinistra! SINISTRA!“. Mit brachialer Gewalt aber, drosch unser Stürmer gegen die Lederkugel, welche aus kurzer Distanz im Netz der Azzurrini wie eine Bombe einschlug. Ausgleich. Die Italiener, so schien es, warfen nun im Eifer des Gefechts die Nerven weg. Auch ihre Spielweise wurde aggressiver, schmutziger. Ein ums andere Mal klatsche ihr leichtfüßiger Zehner zu Boden. Der Schiedsrichter in Dauerbeschuss italienischer Beschwerden aber zu eingeschüchtert, um den unsauberen Methoden der Azzurri Einhalt zu gebieten. Unser tapferer Schlussmann aber hielt bravourös. „Merda!“ Die Verzweiflung der Azzurrini in Anbetracht des Ergebnisses war förmlich zu spüren. Peinlich eine mögliche Schmach gegen das kleine Österreich. Und nicht mehr lange zu spielen. Die Österreicher zollten nun dem hohen Tempo oder den heißen Temperaturen - oder beidem - Tribut. Die Konzentration schwand. Die Squadra, angepeitscht von einem kreischenden, vornehmend weiblichen, Publikum. Die Österreicher, aber den Hauch einer möglichen Sensation witternd und mit dem schieren Mut der Hoffnung. Ein langer Ball, geschlagen von unserem robusten Abwehrspieler, an die linke Flanke, kann vom Außenläufer noch vor dem Aus gerettet werden. Die Azzurrini aber, wollen um jeden Preis die Kugel und doppeln forsch. Mit der Schulter kann ich mir den einen Angreifer vom Leib halten, spitzle die Haut am zweiten vorbei und dringe festen Schrittes in den Strafraum. In dem Moment als der italienische Torhüter wie ein Berserker auf den Ball und mich stürtzt, drücke ich mit links erbarmungslos ab. Zoffs Erben bleibt keine Chance. Das Leder schlägt wie eine Kanonenkugel im löchrigen Netz ein. Sechs zu Fünf für Österreich. Die Italiener, bestürzt über das Ergebnis, weisen sich wild gestikulierend und temperamentvoll fluchend Beschuldigungen am Untergang zu. Wenige Momente später beendet der tunesische Unparteiische die Begegnung. Noch Minuten nach dem Abpfiff genieße ich das Gefühl, den Weltmeister besiegt zu haben. Die meisten der Spieler aber interessiert das nicht mehr die Bohne. Sie springen, lechzend nach Abkühlung, in den blau schimmernden Pool oder werden von ihren Eltern abgeholt, um sich für das Abendessen frisch zu machen.

Mittwoch, 19. November 2014

Schöpferische Zerstörung

In der Ökonomie geht der Begriff sinngemäß bereits auf Karl Marx zurück. Der Österreicher Josef Schumpeter, nach welchem in Wien-Floridsdorf eine Straße und eine Volksschule benannt sind, hat das Konzept der schöpferischen Zerstörung schließlich bekannt gemacht. Auch Friedrich Nietzsche hat ähnliches philosophiert. Grundidee ist: Fortschritt gedeiht nur, wenn fortwährend und regelmäßig an Innovationen gearbeitet wird und so bestehende Muster aus eigener Kraft zerstört werden.

Dass dieser Innovationsprozess oftmals „ein Schritt zurück, zwei Schritte vorwärts“ bedeutet, spüren gerade die Nationalmannschaften Deutschlands und Spanien. Dabei hat sich die Mannschaft gegen die Amateure aus Gibraltar nicht gerade mit Ruhm bekleckert. Auch der gestrige Auftritt in Vigo war keine Augenweide, aber doch eine adrettere Leistung als freitags zuvor. Dabei zerstört Löw gerade sein Weltmeister-System und versucht sich schöpferisch an einem kompakten 3-3-3-1. Ein System, das Paul Gludovatz bereits in seiner Rieder Zeit einsetzte. Gegen den Ball hat das in Vigo schon ziemlich gut ausgesehen. Wie Löw nach dem Spiel erklärte, wurde zentral vor dem Tor ein massiver Block aufgebaut. Die Flanken wurden dabei von den Flügelspielern Rudy und Durm dicht gemacht und so mit einer Fünferabwehr agiert. So wurde gegen die furia roja, die auch nicht mehr so furios aufgeigt, wie noch vor zwei Sommern, immerhin kein Gegentreffer kassiert. In Ballbesitz wirkte die DFB-Elf im Angriffsdrittel zahnlos. Selbst die äußeren Innenverteidiger zogen bei Angriff über ihre Flanke tief in die gegnerische Hälfte auf, der entscheidende Pass wollte jedoch partout nicht gelingen. Das Anlaufen und gleichzeitige Räume öffnen könnte in Zukunft aktiver gestaltet werden. Gegen Gibraltar hingegen wurden die Flanken massiv beackert, die Hereingaben fanden aber nur selten einen Abnehmer. Sie wären wohl ein gefundenes Fressen für Kießling, Gomez oder den zurückgetretenen Klose gewesen. Apropos Rücktritte, diese sind ein weiterer Faktor für den Änderungsprozess. Allen voran Kapitän Lahm, der fußballerisch und sicherlich auch sozial eine riesige Lücke gerissen hat. Nicht zu vergessen Per Mertesacker, der in Brasilien sechs von sieben Spielen im Abwehrzentrum bestritt.

Die Deutschen scheinen den Fehler der Spanier nicht zu wiederholen, stur an einer Spielweise festzuhalten. Löw erweitert das taktische Repertoire seiner Mannschaft, wohl wissend, dass dies Geduld erfordere. Bis zur Euro in Frankreich aber genügend Übungszeit bevorsteht. Ganz im Gegensatz zu den Spaniern, die auch in Brasilien 2014 an ihrem einst innovativen Spiel festhielten und bedauerlich feststellen mussten, dass bereits die ganze Welt Maßnahmen adaptierte, der Furie die Zähne zu ziehen.

Stilblüten I: Paul Gascoigne

Wohl eher eine verwelkte Blüte: Gascoigne war bereits am absteigenden Ast und spielte 2001/02 für die Toffees. Am 12. Jänner 2002 war Sunderland zu Gast in Goodison. In seinem Buch „Glorious“ schreibt Gazza:

In der Nacht vor dem Spiel trank ich dreieinhalb Flaschen Wein, nahm elf Schlaftabletten, wurde um sechs Uhr morgens zitternd wach, nahm noch ein paar Tabletten, leerte den restlichen Wein, schlief wieder ein, wurde gegen neun Uhr erneut wach, nahm einen dreifachen Brandy, noch eine Schlaftablette, rauchte einen Joint und fuhr zum Spiel. Ich war in katastrophaler Verfassung also trank ich noch einen dreifachen Brandy, nahm noch eine Schlaftablette, ging raus und legte ein Superspiel hin. Danach fuhr ich heim und schlief ein. Am nächsten Morgen fragte ich Jimmy [Anm.: „Five Bellies“, ein langjähriger Freund von Gascoigne] wie ich gespielt habe. „Schau auf den Tisch“, sagt er und zeigte zu einer Sektflasche: „Du wurdest Spieler des Tages.“