Dienstag, 6. Januar 2015

Geld wirkt, Tore wirken besser



Für die meisten Fußballer in Europa ist Winterpause, für Fußballmanager geht es während der Feiertage hingegen ums große Geld. Nach der Fußball-WM im Vorjahr investierten die Klubs 2,3 Milliarden Euro in Personal.

Das schöne Spiel, wie Fußball bezeichnet wird, ist auch das teuerste Spiel. Bereits im Sommer 2014 investierten Europas Fußballvereine rund 2,3 Milliarden Euro in neues Personal. Und während sich die Wirtschaftswelt mit Rezessionssorgen plagt und die Konjunkturprognosen sich an Pessimismus überbieten, überschlagen sich dieser Tage die Gerüchte über mögliche Millionentransfers in der Fußballwelt. Superstar Lionel Messi von Barcelona zu Chelsea London, Weltmeister Lukas Podolski von Arsenal zu Inter Mailand? Das Milliardenkarussell Fußball dreht sich weiter, kennt scheinbar keine Konjunkturflaute.

Die Klubs der Premier League in England gaben 2014 allein mehr als eine Milliarde Euro aus. Das ist viermal so viel, wie die Klubs der deutschen Bundesliga springen gelassen haben. Ist Englands Liga also viermal so gut wie die deutsche, aus deren Korporationen sich immerhin die Weltmeistermannschaft rekrutierte? Der Preis des Personals allein reicht wohl kaum als Indikator für die Qualität einer Mannschaft und ihrer Durchsetzungsfähigkeit auf dem Markt. Aber das gilt für alle Branchen. Die teuersten Komiker sind nicht immer die besten. Und was die bestbezahlten (US-)Bankmanager wert sind, hat die Welt ja vor einigen Jahren leidvoll erfahren.

19,9 Milliarden Euro Umsatz. Angesichts des Marktvolumens relativieren sich die ungeheuren Preise für Kicker. Dem „Annual Review of Football Finance“ des Wirtschaftsprüfungsunternehmens Deloitte zufolge kletterten die Einnahmen der fünf großen europäischen Ligen 2012/13 (die Zahlen für 2013/2014 sind noch nicht bekannt) kumuliert auf 9,8 Milliarden Euro. Das ist eine Steigerung um fünf Prozent im Vergleich zum Jahr zuvor. Die englische Premier League verdiente das größte Kuchenstück: 2,9 Milliarden Euro. Deutschland etablierte sich als Nummer zwei (2,1 Milliarden Euro), vor Spanien (1,9), Italien (1,7) und Frankreich (1,3). Alle anderen Ligen nahmen noch einmal so viel ein wie diese fünf allein. Der Gesamtumsatz in Europa wird von Deloitte mit 19,9 Milliarden Euro (plus zwei Prozent) beziffert.


Die Konzentration des Kapitals auf einige wenige, immer größer werdende Konzerne ist auch im Vereinsfußball zu beobachten. Manchester United kaufte für rund 105 Millionen Euro neue Spieler ein. Das sind zwei Drittel der Ausgaben der gesamten deutschen Bundesliga. Der Klub kann sich das locker leisten. Der Gewinn lag 2012/13 weit über 100 Millionen Euro, bei einem Umsatz von rund 424 Millionen.

Wie gnadenlos der Wettbewerb an der Spitze ist, zeigen die Aussichten auf die aktuelle Saison. Manchester United beendete die Premier League als Siebenter. Daher entfallen die Einnahmen aus der Champions League. Sie betrugen in den abgelaufenen Jahren stets zwischen 40 und 55 Millionen Euro, also bis zu einem Zehntel der Einnahmen. Der Gewinn wird daher im kommenden Jahr geringer ausfallen. Da der Autokonzern Chevrolet für einen Vertrag über sieben Jahre als Leiberlsponsor 432 Millionen Euro zahlt, halten sich die auf rund 30 Millionen geschätzten Budgetkürzungen allerdings in Grenzen.

In der Football Money League, die Vereine nach ihrem wirtschaftlichen Muskel reiht, hat Manchester United 2013 zum ersten Mal an der vierten Stelle rangiert. Viele Jahre hatten die Engländer diesen Wettbewerb dominiert, doch Real Madrid (Umsatz 2013: 519 Millionen Euro) und der FC Barcelona (483) sind inzwischen um ein Eck potenter. Bayern München (431) quetschte sich an Manchester vorbei auf den dritten Platz. Nicht zuletzt dank der Triple-Saison 2012/13, in der die Bayern die deutsche Meisterschaft, den Cup und die Champions League gewannen.

Österreichische „Armenliga“. Österreichs zehn Bundesligaklubs wirken dagegen wie Nebenerwerbskicker. Sie setzten 2012/13 rund 152 Millionen Euro um. Das ist ungefähr der Gewinn von Manchester United. Und würde nicht Red-Bull-Chef Dietrich Mateschitz für RB Salzburg rund 61 Millionen Euro springen lassen, würde Österreichs „Armenliga“ noch trauriger ausschauen. Da heuer kein Klub in der Champions League spielt und die Salzburger Österreichs einziger verbliebener Vertreter in der Europa League sind, gehen nicht nur die Marktpräsenz, sondern auch Einnahmen flöten. Aufgrund der unterschiedlichen Anzahl der Vereine ist freilich eher der durchschnittliche Umsatz und weniger die Gesamtsumme aussagekräftig. Liegt der Schnitt von Österreichs Vereinen (dank RB Salzburg) bei rund 15Millionen, beträgt er in Englands Premier League rund 158 Millionen Euro.


Wie das Geschäft geht, zeigen aber nicht die Engländer vor, sondern die Deutschen. Deren Bundesliga ist nicht nur umsatzmäßig die zweitstärkste der Welt, sondern auch die solideste. 2013 steigerte sie zum neunten Mal hintereinander die Umsätze (um 91 Millionen oder 4,4 Prozent) auf 2,1 Milliarden. In diesen neun Jahren haben sich die Einnahmen in der deutschen Eliteliga beinahe verdoppelt. Selbst die zweite deutsche Bundesliga nimmt weit mehr als doppelt so viel Geld ein wie die oberste Spielklasse in Österreich. Hierzulande kann sich kaum ein Klub aus den Einnahmen (Ticketverkauf, TV-Rechte, Marketing-Merchandising) selbst erhalten. Sogar der weitaus beliebteste Klub, Rapid, kalkuliert Jahr für Jahr mit einem Defizit von rund zwei Millionen Euro, das die Einnahmen aus einem internationalen Wettbewerb (heuer eine grüne Null) oder Gönner ausgleichen. Oder niemand. Österreichs Profifußball ist ein hoffnungsloser Zuschussbetrieb. Von den Kosten der Infrastruktur (Stadion, Zubringerstraßen, Trainingsplätze) gar nicht zu reden, sie werden landauf, landab von der öffentlichen Hand errichtet und instand gehalten. Die Vereine mieten sich ein.

Ganz anders in Deutschland. Dort erzielten die 18 Bundesligavereine in der Saison 2012/13 kumuliert einen Gewinn von rund 62 Millionen Euro. Sonst ist nur die Premier League mit einem Überschuss (96 Millionen) gesegnet.

In Spanien, Italien und Frankreich generieren die Spitzenligen ein Defizit. Die Implementierung der Financial-Fair-Play-Regelung 2013/2014 führte allerdings auch dazu, dass sich das Verhältnis von Personalkosten und Einnahmen normalisierte.

In diesem Zusammenhang ist auch interessant, dass das schweizerische International Center for Sports Studies die für Topspieler bezahlten Preise für neue Spieler in der Mehrzahl für krass übertrieben hält. So habe Manchester United für Ángel di María (Kaufpreis 75,5 Millionen Euro) an Real Madrid rund 30 Millionen zu viel bezahlt.

Manchester United wird das nicht kümmern, die Ankunft eines neuen Mitbieters um Rechte für TV-Übertragungen und Verwertungen in digitalen Plattformen (Handy, Apps, iPad) namens BT Sport treibt in England die Erlöse auf dem Broadcasting Sektor in die Höhe. Seit der vergangenen Saison ist ein Live-Match der Premier League rund acht Millionen Euro wert. Die 20Klubs der österreichischen Bundesliga verwerten ihre Rechte pro Jahr mit rund 13 Millionen Euro.


Quelle: Die Presse, 04. Jänner 2015
 

Donnerstag, 1. Januar 2015

„Die Spieler tun mir leid“


Mehr als zehn Jahre lang war Thorsten Rarreck der Vereinsarzt des Fußball-Bundesligisten Schalke 04. Bis Oktober. Dann kam mit Roberto di Matteo ein neuer Trainer, der auf ein neues Ärzteteam setzte. Seitdem konzentriert sich Rarreck voll auf seine Praxis in Gelsenkirchen. Wir sprechen mit ihm über Medikamente und Schmerzmittel im Fußball.

Bei der Weltmeisterschaft standen Lahm, Schweinsteiger und Neuer auf dem Platz. Die waren kurz vorher noch schwer verletzt. Verlief die Genesung nicht erstaunlich schnell?
Bei Manuel und Philipp kannte ich die Diagnosen. Mir war klar: Das ist zu schaffen. Hinzu kommt, dass die beiden gewohnt sind, mit Schmerzen umzugehen.

Welche Rolle spielt der Einsatz von Schmerzmitteln?
Die spielen sicherlich eine Rolle. Man kann viel darüber spekulieren, ob ein Einsatz ohne Schmerzmittel möglich gewesen wäre.

Wie verbreitet ist der Einsatz von Schmerzmitteln im Profi-Fußball?
Das hat stark zugenommen in den letzten Jahren. Es gibt Zahlen, wonach mehr als zwei Drittel der Sportler regelmäßig Schmerzmittel einnehmen, um trainieren und spielen zu können.

Kann man Leistungssport überhaupt ohne solche Mittel ausüben?
Wenn ich mir die Zahlen ansehe, muss ich sagen: offensichtlich nicht.

Über welche Mittel reden wir?
Ich spreche von nicht-steroidalen Antirheumatika wie Ibuprofen oder Diclofenac. Die müssen nicht mal im Voraus angegeben werden. Nur wenn bei Dopingtests nachgefragt wird, müssen sie genannt werden. Dann heißt es zum Beispiel: Schwere Prellung, drei Tage Ibuprofen, je drei mal 800 Milligramm. Das ist erlaubt – aber bedenklich.

Können Sie das als Arzt noch verantworten?
Da muss jeder für sich die Grenze setzen. Für mich ist das Ende der Fahnenstange erreicht. Sportmediziner für einen Bundesliga-Klub zu sein, hat sicherlich nichts mit Naturheilkunde zu tun. Wer da was anderes behauptet, der kennt die Szene einfach nicht.

Sie waren in dieser Szene lange dabei.
In meiner Brust schlagen zwei Herzen. Das Herz des klassischen Schulmediziners sagt: Es hilft doch nichts. Rein damit, sonst kann der nicht spielen. Der Naturkundler in mir sagt: Es ist ja unglaublich, was hier passiert! Stellen Sie sich vor, Sie hauen sich immer wieder mit einem Hammer auf den Finger. Aber Sie hören nicht damit auf, sondern nehmen ein Schmerzmittel, damit es nicht mehr weh tut. Das ist nicht nur absurd, sondern auch gefährlich.

Wo liegen die Gefahren?
Statt die Selbstheilungskräfte des Körpers zu fördern, werden sie unterdrückt. Außerdem greifen diese Mittel alle möglichen Organsysteme an – Niere, Leber, Magen, Herz- und Kreislaufsystem. All das muss regelmäßig und ausreichend überwacht werden.

Sollte der Gebrauch eingeschränkt oder verboten werden?
Ja, da muss sich etwas tun. Es gibt ja auch Bestrebungen der internationalen Dopingkommission, wonach der Gebrauch von Schmerzmitteln massiv eingeschränkt werden soll. Wenn das in ein paar Jahren so kommt, wird es einen Aufschrei in der Szene geben.

Wie verbreitet sind Spritzen?
Es ist nicht so, dass die Hälfte der Mannschaft mit Spritzen fit gemacht wird, das betrifft einzelne Spieler. Verbreitet sind Spritzen in und am Gelenk mit Lokal- Anästhetika oder Kortikoiden. Zum Zwecke der Schmerzlinderung macht Kortison vielleicht Sinn, weil es die Entzündung hemmt. Aber es hat den negativen Effekt, dass das Gewebe dadurch weicher wird. Man fühlt sich zwar belastbarer, aber das Gegenteil ist der Fall. Dadurch können chronische Schäden an Gelenk, Knorpel oder Sehne entstehen. Ich bin gegen solche Behandlungen, außer vielleicht in ganz seltenen Fällen.

In welchen?
Vielleicht kann man vor einem Endspiel drei Augen zudrücken. Aber regelmäßige Anwendungen lehne ich absolut ab.

Werden die Spieler von den Vereinen gedrängt, schnell wieder auf dem Platz zu stehen?
Man darf sich das nicht so vorstellen, dass beispielsweise ein Manager ankommt und verlangt: Du musst jetzt auch mit Beschwerden spielen, wir brauchen dich!

Wie denn?
Die Spieler stehen unter großem Druck. Sie wollen selber unbedingt spielen, oft geht es beispielsweise darum, einen neuen Vertrag zu bekommen. In dieser Situation besorgen sie sich teilweise bestimmte Medikamente, um weitermachen zu können. Darüber redet man aber nicht, auch wir Ärzte erfahren vieles nicht.

Stehen die Ärzte unter Druck?
Ich persönlich habe es in 20 Jahren nicht erlebt, dass man mich bedrängt hätte, einen verletzten Spieler auf den Platz zu schicken. Es war allen klar, dass ich nicht über ein bestimmtes Maß, das ich als Arzt vertreten kann, hinausgehen würde. Da bin ich stur wie ein Esel.

Und Ihre Kollegen?
Ich weiß nicht, wie andere das im Einzelnen handhaben. Es mag sein, dass Sportmediziner, die neu in die Szene kommen, eher geneigt sind, dieses Spiel mitzuspielen und harte Sachen zu geben. Wobei wir in Deutschland sehr gut ausgebildete seriöse Sportmediziner haben. Das habe ich in anderen Ländern zum Teil anders erlebt.

Denken Sie an einen konkreten Fall?
Ein Spieler aus einer ausländischen Nationalmannschaft kam zurück von einer Meisterschaft. Er hatte dort mit einem frischen Bänderriss im Sprunggelenk spielen müssen. Die Ärzte hatten ihm jeden dritten Tag hochdosiert Kortison mitten in das verletzte Band gespritzt. Das Gelenk sah furchtbar aus.
Konnte der Mann denn problemlos spielen?
Problemlos nicht, aber er war irgendwie einsatzfähig.

War diese Art der Behandlung legal?
Bisher leider ja. Ich hoffe, so etwas wird in drei, vier Jahren ganz verboten sein – zum Schutz der Spieler. In Deutschland wäre so ein Fall auch jetzt schon undenkbar.

Unter deutschen Sportmedizinern war Actovegin lange Zeit sehr beliebt. Ein Mittel, das direkt in den Muskel gespritzt wird. Was hat es damit auf sich?
In meiner Anfangszeit Ende der 80er-Jahre habe ich das auch eingesetzt. Es handelt sich um ein Mittel, das aus Kälberblut extrahiert wird. Es unterstützt eine Einsprossung von neuem Bindegewebe, den sogenannten Fibroblasten. Insbesondere Muskelverletzungen können dadurch tatsächlich schneller ausheilen. Ich bin davon aber abgekommen.

Warum setzen Sie das Mittel nicht mehr ein?
Ich habe bei einem Profi-Tennisspieler einen anaphylaktischen Schock gesehen. Er hat massiv allergisch auf das Kälber-Eiweiß reagiert – und wäre fast daran gestorben. Zufällig war damals ein Anästhesist dabei, der ihm das Leben gerettet hat. Danach war Actovegin für mich tabu. Allerdings ist das Mittel damals intravenös verabreicht worden.

...was heute verboten ist.
Richtig. Erlaubt ist inzwischen nur noch die lokale Anwendung, direkt in das Gewebe injiziert. Aber auch in diesen Fällen setze ich heutzutage lieber  Eigenblut ein, welches dank einer speziellen Zubereitung mindestens die gleiche heilungsförderliche Wirkung auf das Gewebe hat.

Gibt es überhaupt eine Möglichkeit festzustellen, ob Actovegin in die Blutbahn oder in einen Muskel gespritzt wurde?
Theoretisch ist es feststellbar, es dürfte aber ziemlich aufwendig sein. Mit den derzeit angewendeten herkömmlichen Tests kann man es nicht feststellen.

Man müsste dafür eine Blutprobe entnehmen?
Richtig, aber bei der Blutprobe wird garantiert nicht auf Actovegin getestet.

In manchen Ländern ist Actovegin überhaupt nicht zugelassen.
Es gibt für mich verschiedene Gründe, warum ich Actovegin nicht mehr anwende. Es handelt sich aber nicht um ein Dopingmittel, wenn man es lokal anwendet; dann dient es nicht der Leistungssteigerung. In Deutschland ist es sowieso nur noch schwer zu bekommen.

Bekannt geworden ist Actovegin in Deutschland auch durch Dr. Müller-Wohlfahrt, dem Arzt des FC Bayern und der Nationalmannschaft.
Es scheint so, als setze er Actovegin immer noch ein. Das sei ihm als Erfahrungsheilkundler, der über großes Wissen und viel Erfahrung verfügt, auch zugestanden. Ich kenne Dr. Müller-Wohlfahrt gut und ich weiß, dass er sehr konservativ vorgeht. Er würde niemals die Gesundheit der Sportler auf‘s Spiel setzen.

Wir haben bisher über Medikamente gesprochen, deren Einsatz alle legal ist. Kommen auch unerlaubte Mittel zum Einsatz?
Ich glaube nicht, dass es im deutschen Fußball systematisches Doping gibt. Zum einen werden wir dermaßen eng kontrolliert – beim Training, nach dem Spiel, selbst zu Hause.

Bluttests wurden bis vor kurzem in der Bundesliga nicht durchgeführt.
Ja, das ist jetzt die zweite Saison, in der Bluttests durchgeführt werden.

Ein Großteil der Doping-Mittel kann aber nur mit Bluttests nachgewiesen werden.
Das ist schon richtig, aber Mittel wie Anabolika und Stimulanzien, die beim Fußball Sinn ergeben könnten, können durchaus im Urin nachgewiesen werden.
 
Wie oft werden Fußballspieler in der Bundesliga auf Doping getestet?
Zwei bis drei Mal in der Saison. Bei internationalen Wettbewerben wird oft die gesamte Mannschaft getestet. Wir hatten auch Phasen, in denen die Kontrolleure im Training oder beim Spiel zwei bis drei Spieler rund sechs bis sieben Mal im Monat getestet haben. Das ist schon eine engmaschige Kontrolle.

Halten Sie den Fußball für weniger anfällig als andere Sportarten?
Ein Sprinter muss nur seine Schnellkraft verbessern, ein Gewichtheber die Maximalkraft. Im Fußball ist es viel schwieriger, etwas mit bestimmten Dopingmitteln zu erreichen. Es kommt auf so viele verschiedene Faktoren wie Ausdauer, Schnelligkeit, Kraft, Koordination und Taktik an.

Wie hat sich der Fußball in den vergangenen Jahren verändert?
Die Spieler laufen mindestens zwei bis drei Kilometer mehr pro Spiel als noch vor zehn bis 15 Jahren. Außerdem haben sie bis zu zehn Pflichtspiele mehr pro Saison. Darüber hinaus darf nicht der mediale Druck vergessen werden.

Ist die Grenze der Belastbarkeit erreicht?
Diese Frage müssen sich alle Beteiligten stellen, und die Belastbarkeit weist erhebliche individuelle Unterschiede auf. Der jetzige Rhythmus im Profi-Fußball ist jedenfalls grenzwertig. Selbst mit optimalen präventiven Maßnahmen lassen sich nicht alle Verletzungen im Fußball verhindern. Es handelt sich nun mal um eine sehr verletzungsträchtige Aggressiv-Sportart.

Die Belastung wird durch Turniere wie die Fußball-WM noch verschärft.
Absolut. Mir tun die Spieler wirklich leid. Das geht weit über das hinaus, was für den Körper noch gut ist. Dahinter stecken natürlich auch knallharte kommerzielle Interessen.

Bei Schalke 04, ihrem ehemaligen Verein, gab es in dieser Saison eine Serie von Verletzungen. Gab es deshalb Vorwürfe?
Nein, im Gegenteil. Ich habe ein umfassendes Präventionskonzept vorgelegt, dass der Verein nun Stück für Stück umsetzt. Julian Draxler und Benedikt Höwedes haben in der Saisonvorbereitung ja selbst öffentlich gesagt, dass man in diesem Bereich immer weiterarbeiten müsse. Die Verletzungen betreffen ja alle Spitzenklubs gleichermaßen.

Warum sind Sie jetzt nicht mehr Mannschaftsarzt?
Der Grund war einfach, dass sich der neue Trainer andere Anwesenheitszeiten für den Mannschaftsarzt wünschte. Die ließen sich aber nicht mit dem Betrieb meiner Praxis in Einklang bringen.

Was würden Sie jungen Kollegen mit auf den Weg geben?
Voraussetzung sind neben der unermüdlichen Einsatzbereitschaft rund um die Uhr überdurchschnittliche Fähigkeiten was Diagnosestellung, Erste-Hilfe- Maßnahmen, Rehaplanung und Teamgeist anbetrifft. Ein Aspekt, der oft unerwähnt bleibt, ist aus meiner der wichtigste: die Prävention. Als Ärzte sollten wir auf das Verhalten des Sportlers einwirken, bevor es zu Verletzungen kommt.

Das bedeutet konkret?
Es beginnt beim individuellen Training der motorischen Hauptbeanspruchungsform Kraft, Dehnbarkeit, Koordination, Ausdauer und Schnelligkeit. Ein weiterer Faktor ist die Ernährung. Nährstoffe sollten individuell gezielt nach Blutanalysen gegeben werden, statt unspezifisch Vitamine hochdosiert zu verabreichen. Wir nennen das „metabolisches Tuning“. Diese Art von 'legalem Doping' ist bei Weitem noch nicht ausgereizt. Und es kommt entscheidend auf mentales Stressmanagement an. Hierbei müssen durch gezieltes Coaching leistungsmindernde und verletzungsförderliche Denkmuster abgebaut werden.


Quelle: Handelsblatt online, 31.12.2014


Mittwoch, 17. Dezember 2014

Mittwoch, 10. Dezember 2014

Southampton 1-2 Man United: Ein dreckiger Sieg

Der katastrophale Saisonstart nach van Gaals Antritt scheint in Vergessenheit zu geraten. Die Red Devils hievten sich mit dem Auswärtssieg in Southampton auf Position Drei und haben auf die eigentliche Konkurrenz um die CL-Qualifikation Arsenal (5 Punkte), Spurs (7) und Liverpool (7) passablen Vorsprung. Weil genannte einen noch unwürdigeren Start hingelegt haben. Auf das Spitzenduo Chelsea und Man City fehlt allerdings noch einiges.

Einfallslos und feig
Größtes Manko gegen Soton, war das Kreieren von Tormöglichkeiten. Das beweist der Blick auf die Schussbilanz. Nur drei mickrige Schüsse, wovon zwei aufs Gehäuse von Fraser Forster gingen. Wenn man’s positiv sehen will: 100 Prozent Ausbeute. Der Weisheit letzter Schluss kann dies aber natürlich nicht sein. United hat außerordentlich von der fehlende Effizienz Southamptons profitiert. Trainer Koeman hat dies nach Schlusspfiff ebenso bekrittelt, wie Analyst Neville, der der Meinung war, United hätte sich alles erlauben dürfen. Von Southamptons 15 Schüssen gingen lediglich vier aufs Tor von De Gea. Hervorragend wird der Mangel an Kreativität bei United durch folgende Passgrafik verdeutlicht.


Bis 25 Meter vor dem Tor zirkuliert der Ball ungleich anders als bei anderen Teams. Kommt United aber in die gefährliche Zone, findet das Kurzpassspiel ein abruptes Ende. Der Mangel an Kreativität wird verdeutlicht, dass United nur sechs Mal in der Lage war ein Zuspiel in den Strafraum zu befördern. Kein einziges fand dabei seinen Adressaten. Weiters fällt das hohe Passaufkommen auf den Außenpositionen auf, was grundsätzlich nicht negativ ist. Dies wird untermauert, dass unter den vier häufigsten Manchester-Kombinationen gleich dreimal die Zuspiele der Outlinie entlang sind: Young-Rojo (16), Rojo-Young (13) und Evans-Valencia (10). United nutzt durch das Flügelspiel die komplette Breite des Feldes um den gegnerischen Abwehrverbund auseinander zu ziehen um so einfacher in die Schnittstellen zu gelangen. Durch die tiefe Grundposition der Flügelspieler, erhalten diese aber meist schon auf Höhe der Mittellinie den Ball, wodurch ein direktes Zuspiel in die Sturmspitze beinahe unmöglich wird. Folgende Grafiken untermauern diesen Sachverhalt; es werden die Vorwärtspässe von Young und Valencia illustriert.



Die tiefe Grundposition der beiden war ebenso ausschlaggebend für das mangelhafte Flankenspiel. United flankte nur sechs Mal nahe der Grundlinie, einmal davon per Corner, dafür aber fünf Mal bereits aus dem Halbfeld. Während Young insgesamt fünf Mal den Ball von der Seite in den Strafraum schlug, flankte Valencia lediglich ein einziges Mal.

 

Der Mangel an Anspielstationen, durch das Unterlassen von Freilaufbewegungen und der nicht vorhandene Wille nach vorne zu spielen wird durch folgende Tabelle untermalt. Sie zeigt die Summe der gespielten Pässe, wie viele davon nach vorne, nach hinten und quer gespielt wurden. In der Klammer der Anteil an den Gesamtzuspielen.


Fazit
Uniteds Führung ging ein fürchterlicher Rückpass von Kapitän Fonte voraus, den van Persie mühelos abfing. Der Ausgleich wiederum wurde durch einen katastrophalen Querpass von Fellaini eingeleitet und eine passive Manchester-Hintermannschaft, die zu siebent keinen Zugriff auf den Ballführenden oder den Ball bekommt. Der abermalige Führungstreffer für die Devils resultierte aus einem langgezogenen Rooney-Freistoß aus dem Halbfeld, bei dem Southamptons Raumdeckung versagte. Insgesamt war der Sieg für Man United mehr als schmeichelhaft. Van Gaals Jungs agierten trotz zuvor vier Siegen en suite ängstlich und passiv und zeigten nur mangelhafte Ansätze eines Spiels in die Spitze. Die zahlreichen Zuspiele in die Breite und rückwärts beweisen dies. Zwar versuchte United viel über die Flügel zu lösen, Young, vor allem aber Valencia, schienen durch ihre Defensivaufgaben in ihren Offensivaktionen massiv eingeschränkt.

Donnerstag, 4. Dezember 2014

Stilblüten III: David Ginola

Der Franzose wechselte 1995 von PSG auf die Insel nach Newcastle. Am 3. Spieltag gewannen die Toons das Auswärtsspiel bei Sheffield Wednesday mit 2:0. Nach der Partie gönnte sich Ginola seine übliche Zigarette, die er nach eigenen Angaben, vor und nach Spielen zum Druckabbauen und Entspannen rauchte. Als seine Mitspieler ihn dabei ertappten, waren sie über dessen Einstellung entsetzt und verpfiffen ihn bei Trainer Kevin Keegan. Dieser ermahnte Ginola mit erhobenem Finger und wies ihn zurecht. In England sei solch unprofessionelles Verhalten nicht üblich und könne nicht geduldet werden. Ginola möge sich doch den lokalen Gepflogenheiten anpassen. Auf der Heimreise blieb der Spielerbus an einem Lokal stehen. Die Spieler aßen fettige Fish and Chips aus Zeitungspapier, Schokolade und Gummizeug.

Mittwoch, 3. Dezember 2014

Dortmund hat nur Pech

Billy Beane gilt als Urvater der Moneyball-Jahre im American Baseball. Wegen der finanziellen Lücke zu Großteams wie den Boston Red Sox, versuchte er mittels Sabermetrics unterbewertete Spieler zu identifizieren und diese zu werben. Der resultierende Erfolg und die dramaturgische Aufarbeitung im Film „Moneyball“ mit Brad Pitt, brachte diese Thematik schließlich auch nach Europa. Während American Football, Baseball und Eishockey seit Jahren eng mit allen möglichen Statistiken und Kennzahlen verwoben sind, steckt die statistische Aufarbeitung und Analyse des europäischen Fußballs noch in den Kinderschuhen. Richtig salonfähig wurden Kennziffern wie Ballbesitz oder Laufleistung erst seit der Zeit ab Guardiola. Dennoch müssen diese Werte zwecks Aussagekraft in Zukunft noch überarbeitet werden, was bringt einer Mannschaft auch 70 Prozent Ballbesitz, wenn der nur in der eigenen Hälfte stattfindet? Oder 92 Prozent erfolgreiche Pässe, wenn der Großteil nur horizontal zum anderen Innenverteidiger gespielt wird?

So wird natürlich versucht, nicht nur die Leistung eines einzelnen Spielers greifbar zu machen, sondern auch die einer gesamten Mannschaft. Natürlich, am Ende des Tages zählen nur die Punkte in der Tabelle. Doch stellt sich die berechtigte Frage: Spiegelt der Punktestand die tatsächliche Qualität einer Mannschaft wieder?

Erzielte Tore geben oft ein verzerrtes Bild über die Qualität zweier Mannschaften wieder. Besonders im Fußball spielt der Faktor Zufall eine größere Rolle als in oben genannten American Sports. Grund hierfür ist der geringere Spielfluss in jenen Sportarten. Aktionen im American Football beispielsweise, sind Standardsituationen im Fußball ähnlich. Es handelt sich um eine von der ballbesitzenden Mannschaft zuvor planbare Aktion, die im Training eingeschliffen werden kann. Schlägt die Aktion fehl, wird das Spiel mit einer neuerlichen einstudierten Variante fortgesetzt. Während im Fußball nach einer missglückten Eckballvariante der Konter läuft und ein Team trotz aller Überlegenheit in der 89. Minute das 0:1 fangen kann. James Grayson, ein kanadischer Statistiker, hat sich dem Thema gewidmet und im Eishockey schon lang bekannte Zahlen auf den Fußball adaptiert. Zwei wesentliche Gradmesser für die Qualität einer Mannschaft sind die Total Short Ratio (TSR) und die PDO. Letztere ist kein Akronym, sondern der Username ihres Erfinders, Brian King.

Total Shot Ratio & Expected Goals Ratio
Der optimalste Gradmesser für Qualität von Fußballmannschaften stellt folglich die Anzahl der Schüsse dar. Die TSR setzt eigene Schüsse in Relation zu den Schüssen beider Mannschaften eines Spiels.

TSR = shots / (shots + conceeded shots)

Liegt der Wert über 0,5, hat ein Team öfter geschossen als sein Gegner; beträgt der Wert 1, hat jenes Team alle Schüsse in einem Match abgefeuert. Plakativ könnte man nun natürlich sagen: Je mehr Schüsse, desto besser ein Team. Dem ist natürlich nicht so. Team A schießt achtmal aus Verzweiflung aus 30 Metern und erzeugt dabei kaum ähnliche Gefahr wie Team B, welches zwei herausgespielte Abschlüsse aus zehn Metern verzeichnet. Dennoch wäre die TSR für Team B nur 0,2. Also ist Schuss nicht gleich Schuss.

Statistiker haben hierfür wiederum die Expected Goal Ratio (ExpGR) entwickelt. Sie ordnet jedem Schuss einen qualitativen Wert zu. Abschlüsse vom Fünfer besitzen einen höheren Wert als Schüsse aus 30 Metern. Alle Werte werden nach Spielende summiert. Liegen die tatsächlich erzielten Tore einer Mannschaft über der ExpGR, ist das Team überdurchschnittlich effizient. Bleibt zum Abschluss nur noch die Frage: Wie ordne ich den Schüssen qualitative Werte zu? Statistiker haben hierfür komplexe Methoden. Eine Möglichkeit für den Laien stellt allerdings die TSR für den Strafraum dar. Eine Analyse von Martin Andermatt für die Euro 2012 hatte ergeben, dass 88 Prozent aller Tore innerhalb des Strafraumes erzielt wurden. Insofern werden die abgefeuerten Schüsse im Strafraum in Relation zu allen in einem Spiel im Strafraum durchgeführten Schüsse gesetzt, um die qualitativ hochwertigen Abschlüsse zu erfassen. Für die deutsche Bundesliga nach 13 Spieltagen ergibt sich folgendes Bild, die Ziffern in Klammer entsprechen dem aktuellen Tabellenrang:

Team TSR (16er)
Bayern (1) 0,778
Leverkusen (3) 0,653
BVB (18) 0,620
Wolfsburg (2) 0,583
Augsburg (4) 0,515
Frankfurt (9) 0,491
Hoffenheim (7) 0,490
Freiburg (15) 0,479
HSV (17) 0,476
Gladbach (5) 0,471
Paderborn (11) 0,468
Mainz (10) 0,457
Hertha (13) 0,455
Hannover (8) 0,445
Stuttgart (16) 0,440
Schalke (6) 0,424
Werder (14) 0,422
Köln (12) 0,314
 
Großteils stimmt die TSR mit der aktuellen Tabellenregionn überein. Krasser Ausreißer ist natürlich Borussia Dortmund. Die Schwarz-Gelbe stehen völlig überraschend am Tabellenende. Eine TSR (Strafraum) von 0,620 beweist aber, dass die Jungs von Jürgen Klopp gemessen ihrer Qualität ganz woanders stehen müssten. Die drittmeisten Torschüsse (das gesamte Feld betrachtet) abgegeben, die drittwenigsten Torschüsse zugelassen. Das große Manko ist allerdings die Verwertung. Nur 6,3 Prozent aller BVB-Schüsse landen im Netz. Nur der HSV ist noch schlechter; der Bundesliga-Mittelwert liegt bei 10,7 Prozent. Außerdem gehen lediglich 30 Prozent der BVB-Schüsse auf das Gehäuse. Auch hier ist nur der HSV und - welch Überraschung - Bayer Leverkusen noch schlechter. Die Bayer-Elf scheint jedoch mit Bellarabi und Son über mehr Qualität zu verfügen, was auch die Statistik beweist: 10,4 Prozent aller Leverkusener Schüsse landen im Netz. Auch Freiburg und Hamburg scheinen der TSR zu Folge über größeres Potenzial zu verfügen als es der Tabellenplatz erahnen lässt. Als große Schwachstelle der Rothosen werden die zugelassenen Schüsse im eigenen Torraum ausgewiesen. In jedem Bundesligaspiel darf der HSV-Gegner 1,31-mal vom Fünfer abziehen. Die gleiche Schwachstelle hat der VfB Stuttgart. Bei den Schwaben liegt dieser Wert sogar bei 1,395-mal.

PDO
Ob nun eine hohe TSR tatsächlich einen Tabellenplatz an der Sonne sichert, hängt natürlich davon ab, ob die Schüsse auch reingehen. Oder der Handschuh hinter einem auch mal einen Unhaltbaren fischt. Diese Ergebnisse fasst die PDO zusammen. Sie addiert den Prozentsatz verwandelter Torschüsse mit dem Prozentsatz gehaltener Schüsse. Aus ästhetischen Gründen wird die Summe mit 1000 multipliziert.

PDO = 1000 * (sh% + sv%)

Ein Torschuss kann zwei Ergebnisse haben: Tor oder gehalten. Der Mittelwert aller Aktionen ist 1. Ein kleines Beispiel stellt dies verständlich dar: In einer Saison wird insgesamt 750-mal auf das Tor geschossen (n=750). Davon werden 10 Prozent der Schüsse verwandelt ergo werden 90 Prozent pariert. Das Ergebnis beträgt 1 bzw. die PDO 1000. Je kleiner n jedoch ist, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass die PDO größeren Schwankungen um 1000 unterliegt als bei größerem n. Dies besagt das Gesetz der großen Zahl und kann durch ein Praxisbeispiel verdeutlicht werden. Werfe ich eine faire Münze ist die Wahrscheinlichkeit für Kopf und Zahl jeweils 50 Prozent. Der Mittelwert ist demnach 0,5. Wenn ich die Münze nun zehnmal werfe, ist es aber nicht unwahrscheinlich, dass vielleicht nur zweimal Kopf kommt. Wenn die Münze erneut zehnmal geworfen wird, kommt vielleicht viermal Kopf. Insofern liegt der Mittelwert nach der zweiten Serie bereits bei 0,3 ( (0,2+0,4)/2). Je öfter die Münze geworfen wird, desto eher nähert sich der Mittelwert dem erwarteten Mittelwert von 0,5. Für die PDO lässt sich daraus ableiten, dass Leistungen von ≤980 und ≥1020 durch Zufall, Glück und Pech resultieren. Auf Grund des Gesetzes der großen Zahl kann die PDO kurzfristig aber sehrwohl gröberen Schwankungen unterliegen, wie dies folgende Tabelle zeigt. Diese normalisieren sich in der langen Frist (aber einer Saison) aber wieder gegen den Mittelwert.



Montag, 1. Dezember 2014

Spurs 2-1 Everton: Die reifere Spielanlage führte zum Sieg

Und das, obwohl die Toffees wie die Feuerwehr loslegten. Von Beginn weg nagelten sie die Hausherren in deren eigener Hälfte fest. Verschnaufpausen konnten sich die Spurs nur durch unkontrollierte Befreiungsschläge verschaffen, die aber fünfzehn Sekunden später wieder ins das für die Spurs gefährliche Drittel retourniert wurden. Nach vierzehn Minuten gelang Kevin Mirallas per gefühlvollem Schlenzer von der linken Strafraumecke ins rechte Kreuzeck der verdiente Führungstreffer. Nachdem die Freistoßflanke von Baines aus dem Strafraum geköpfelt wurde, eroberte der Belgier den zweiten Ball. Eine taktische Eigenheit mit der die Gäste aus Liverpool mit Fortdauer der Partie zunehmend zu kämpfen bekamen.

Schnell in die Spitze
Die Spurs änderten ihre Ausrichtung und attackierten Everton nun bereits im Mitteldrittel; ihr Konterspiel hielten sie aufrecht. Durch den ersten Schuss auf Tim Howard gelang den Gastgebern prompt der Ausgleich. Baines schlägt den Ball lang in die Sturmspitze, da der anlaufende Kane den Passweg auf den sich kurz anbietenden Barry geschickt verhindert. Allerdings landet der Ball bei Vertonghen. Nach der Balleroberung ging es wie geplant schnell. Hier wird erneut der lange Ball von Baines tragend, da auf Grund des kurzen Anbietens von Barry die Staffelung der Toffees im Zentrum in dieser Situation zu große Abstände aufweist. Barry versucht per Sprint die Lücke auf Besic zu schließen, der wiederum fünfzehn Meter hinter Eto’o versucht irgendwie das Zentrum zu sichern. So können die Spurs mit drei schnellen Kurzpässen die komplette Zentrale von Everton überspielen, wodurch der Ball zu Kane gelangt. Baines steht nach seinem misslungenem Flugball immer noch zu weit außen vom Rest der Viererabwehr, Barry hechelt wiederum in die andere Richtung hinterher und der hüftsteife Distin kommt mit der plötzlichen Richtungsänderung Kanes nach innen nicht zu recht. Dessen Schuss kann Howard noch parieren, Eriksen ist aber der schnellste am zweiten Ball und verwertet zum Ausgleich.

Der letzte Pass
Nach dem Ausgleich, verloren die Toffees den Faden. Sie zogen sich zunehmend in ihre eigene Hälfte zurück, begegneten den Spurs aber mit aggressivem Mittelfeldpressing. Trotz 61 Prozent Ballbesitz war Everton selten in der Lage, gefährliche Torchancen zu kreieren. Eto’o der hinter Lukaku zentral im offensiven Mittelfeld agierte, nahm zu selten am Spielgeschehen teil; seine Laufwege erinnerten eher an seine übliche Position als Mittelstürmer. So war es vorwiegend der junge Ross Barkley, der sich in der Offensive zerriss und gefühlt bei jedem Angriff seine Füße im Spiel hatte. In Ballbesitz pflegte Everton einen geordneten, aber oftmals behäbigen Spielaufbau. Tottenham war so in der Lage sich ohne großen Druck zu organisieren. Pochettino veranlasste zwei massive Viererketten, welche für Evertons Offensivspiel zu unüberwindbaren Barrieren werden sollten. Die üblichen Analogien vom Handball wurden ersichtlich als Martinez’ Mannen 25 Meter vor dem Kasten von Hugo Lloris den Ball vom rechten Flügel, über die Zentrale auf den linken Flügel und wieder zurück kreisen ließen. Antritte in die Tiefe, flottes Kombinationsspiel oder Eins-gegen-Eins-Situationen (mit Ausnahme von Ross Barkley), um den Spurs-Beton zum Bröckeln zu bringen, waren Mangelware.

Immer diese Konter
Auch der zweite Treffer der Spurs fiel durch einen Konter. Barry ist aus unerfindlichen Gründen im Mittelfeld zu lange am Ball. Ein Blick auf die Uhr verrät, dass die Nachspielzeit nur noch 15 Sekunden gehen sollte. Insofern zwei Möglichkeiten: Der Sicherheitspass nach hinten, den Kane aber durch geschicktes Anlaufen antizipiert, oder ein langes Zuspiel in die Spitze um entweder noch eine Chance zu kreieren, aber zumindest keine Gefahr mehr vor dem eigenen Tor zuzulassen. Folglich verliert der ehemalige Nationalspieler die Kugel an den aggressiven Kane. Und dann geht’s wieder schnell. Kane, Soldado, Eriksen, Lennon (mit Ball) und Mason sprinten im höchsten Tempo auf das Innenverteidigerduo Distin-Jagielka. Die breit stehenden und aufgezogenen Baines (links) und Coleman können nicht mehr eingreifen. Die Spurs nutzen die Überzahl und Soldado netzt zum ersten Mal seit März.

Planlos
Der Vorsprung spielt Tottenham in die Karten. Im zweiten Durchgang lässt Mauricio Pochettino die beiden Viererketten den Gegner erst 30 Meter vor dem eigenen Gehäuse attackieren. Der zu bespielende Raum wird für ideenarme Toffees umso enger. Der Ire McGeady und Everton-Urgstein Osman sollen für frischen Schwung sorgen, spielen aber zusammen in der verbleibenden halben Stunde 32 Pässe. Zwar finden 27 davon ihren Adressaten, im Angriffsdrittel werden davon allerdings nur vier in Richtung Tor und zu einem Mitspieler gespielt. Insgesamt gehen sogar 12 Zuspiele zurück. 


Ein weiteres Beispiel ist die Schussbilanz der Toffees. Von den insgesamt zehn Schüssen wurden nur drei innerhalb des Strafraumes abgefeuert. Sturmspitze Lukaku zog zwei von dreimal von zwanzig Meter oder einer noch ferneren Distanz ab. Im Strafraum gelang dem Belgier nur ein Abschluss. Der rote Strich beinahe ins Seitenaus war im übrigen der einzige „Torschuss“ von Samuel Eto'o.

 


Conclusio
Die Spurs mit der reiferen Spielanlage. Trotz des frühen Rückstandes ließen sie sich nicht beirren und vertrauten auf ihre Stärken. Das überfallartige Umschaltspiel nach Balleroberung, was unpopulär ausgedrückt nichts anderes als Kontern ist, kam hervorragend zur Geltung. In Halbzeit Zwei hatten die Spurs nicht zu befürchten, Everton zahnlos und lahm wie ein alter Dackel. Im Gegenteil hatte Tottenham durch weitere Konter über Kane und den eingewechselten Lamela eine noch höhere Führung am Fuß.