Montag, 23. Juni 2014

Erste Erkenntnisse

Traditionell mühen sich die europäischen Mannschaften bei Endrunden auf dem südamerikanischen Kontinent. Brasilien 2014 ist da keine Ausnahme. Der Europameister aus Spanien ist bereits nach zwei Gruppenspielen aus dem Rennen. Vizeeuropameister Italien hadert mit formstarken Costa Ricanern und bestreitet  – natürlich gegen Südamerikaner – gegen Uruguay bereits ein Endspiel. Ein blasses England findet sich ebenfalls am Gruppenende wieder. Die einzigen europäischen Teams, die bis dato annähernd zu überzeugen wussten, waren die Niederlande und Frankreich.

Drei Innenverteidiger
Sehr auffällig sind die kompakten Abwehrreihen. Drei Innenverteidiger und offensive Außenverteidiger. Ich hatte die Italiener eigentlich von Start weg in dieser Defensivformation erwartet. Immerhin praktiziert Antonio Conte bei Juventus genau dieses System. Bonucci-Barzagli-Chiellini vor Torhüter Buffon. Im finalen Gruppenspiel gegen Uruguay wird Cesare Prandelli nun umformieren. Louis van Gaals Niederlande praktizierte im Auftaktmatch gegen Spanien eine ähnliche Herangehensweise. Zumindest am eigenen Strafraum. War der Weltmeister im Spielaufbau noch in seiner eigenen Hälfte oder auf Höhe der Mittelinie, rückte einer der drei Innenverteidiger stoßweise ins defensive Mittelfeld um dort de Guzman und de Jong zu unterstützen. Ähnlich agierten die Chilenen gegen den Weltmeister. Fünferabwehr und hoch verteidigend. Sowohl bei den Niederlanden als auch bei Chile entstand bei gegnerischem Ballbesitz zwischen Verteidigern und Stürmern eine Distanz von etwa zwanzig Metern. Eine Verknappung des Raumes, was gepflegtes Kurzpassspiel extrem erschwert.

Brasilien gegen Mexiko, ein ähnliches Bild. Die Mexikaner mit drei Innenverteidigern um den Raum im Angriffszentrum für die Brasilianer noch enger zu gestalten. Auch bei Mexiko, genauso wie die Niederlande, tritt der ballnahe Innenverteidiger ins defensive Mittelfeld vor, die Außenverteidiger rücken ein. Insgesamt stehen die Mexikaner in dieser Partie tiefer als die Niederlande oder Chile gegen Spanien, was womöglich der höheren Dynamik der brasilianischen Offensivspielern geschuldet ist. Außerdem beteiligen sich die mexikanischen Spitzen dos Santos und Peralta nicht im selben Ausmaß an der Defensivarbeit wie Robben, Sneijder oder Alexis Sanchez. Zwar wird dadurch die Lücke zwischen Abwehr und Sturm größer, der Gegner ist durch die höher stehenden Angreifer aber gleichermaßen gezwungen mit mehr Mann tiefer zu stehen.

Vertikalspiel
Die fehlende Organisation in der gegnerischen Abwehr nutzen. Ralf Rangnick hat einmal eine 8-Sekunden-Regel propagiert. Acht Sekunden nach Ballgewinn soll der Torabschluss folgen. Dem Gegner keine Zeit zur Neuorganisation seiner Reihen lassen und so die Lücken im Abwehrverbund nutzen. Frankreichs Tore geben hierfür bei der diesjährigen WM eine Bilderbuchvorlage ab. Das 2:0 gegen Honduras, genauso wie das 2:0, 3:0, 4:0 und 5:0. Alles Beispiel, dass sich die Franzosen nicht lange mit Ballbesitzspiel auseinandersetzen, sondern durch Passspiel in die Spitze raschen Raumgewinn erzielen wollen und so bald als möglich in aussichtsreiche Distanz für einen Torabschluss wollen. Wie die Equipe Tricolore dieses Ziel erreicht, setzen sie sehr variabel um: Flanken auf den bulligen Benzema sind genauso erfolgversprechend, wie Steilpässe oder Kurzpassspiel. Ein ähnliches Spiel praktizierten die Niederländer im übrigen gegen Spanien, als der Weltmeister sehr hoch verteidigte und so den flinken niederländischen Angreifern reichlich Platz zum Kontern gab.

Sonntag, 15. Juni 2014

Spanien 1 Niederlande 5: Kompaktheit, Druck, lange Bälle


Viel war im Vorfeld dieser Endrunde über die satturierten Iberer gemunkelt worden. Eine Weltmeisterschaft, zwei Europameisterschaften, sie hätten doch eh bereits alles gewonnen. Und jünger würden sie auch nicht, Xavi, Iniesta, Casillas und wie sie nicht alle heißen. Mit dem Debakel zum Einstand mag sich der eilige Kritiker bereits in der Rolle des Propheten wähnen, die Jungs von Vicente Del Bosque aber bereits nach dem ersten Spieltag abzuschreiben, könnte fatal nach hinten losgehen. Denn Fakt ist, auch in Südafrika 2010 verlor die furia roja ihr erstes Gruppenspiel gegen die Schweiz (0:1), was folgte ist ja hinlänglich bekannt. Außerdem ist anzunehmen, dass das Spiel gegen den - zumindest am Papier - schwierigsten Gruppengegner hinter den Spaniern liegt, bei allem Respekt Chile sowie Australien eher nicht an das Niveau der Oranjes rankommen. Zudem ist es für einige Stars die womöglich letzte Teilnahme an einer Weltmeisterschaft, wer da glaubt, ein Vollprofi wie Xavi gibt nur mehr 90 Prozent, weil der Titel ohnehin schon auf seiner Visitenkarte steht, irrt wohl. Und zu guter Letzt: das Ergebnis selbst. Ein Schuss vor dem Bug zur richtigen Zeit.

Defensive: Kompaktheit, Druck
Harsche Kritik musste Bondscoach van Gaal für seine am Papier unorthodoxe Formation einstecken; viel zu defensiv sei diese. Und auch für den kolossalen Umbruch. Die drei Innenverteidiger Vlaar, de Vrij und Martins Indi wurden an den Flanken von Janmaat (rechts) und Blind unterstützt und bildeten quasi eine Fünferabwehr. Außerdem sollten davor de Guzman und besonders de Jong ordentlich staubsaugen. Für kreative Glanzzeichen war lediglich das Trio Sneijder-Robben-van Persie vorgesehen.

Die vermeidliche Fünferabwehr entpuppte sich bei genauerer Betrachtung schließlich doch als Viererkette und unterstütze de Guzman und de Jong situationsbedingt im defensiven Mittelfeld. Dies funktionierte so, dass der ballnahe Innenverteidiger (hier Martins Indi) heraustritt und als zusätzlicher defensiver Mittelfeldspieler für Druck sorgt. Die Außenverteidiger rücken ein, sodass im Abwehrzentrum gegen die spanischen Angreifer weiterhin in Überzahl agiert wird. Der Abwehrblock war schließlich kein 5-2, sondern ein aggressives 4-3.


Auch in der folgenden Szene, das selbe Bild. Wieder tritt Martins Indi aus dem Abwehrzentrum heraus und agiert als zusätzlicher Aggressor im Mittelfeld. Ein weiterer Erfolgsfaktor, war die mannschaftliche Kompaktheit der Elftal. Bei gegnerischem Ballbesitz, verengten die zehn niederländischen Feldspieler den Raum in der Tiefe auf gerade einmal etwa zwanzig Meter.


Noch krasser wurde die Situation, wenn der Weltmeister über die Flügel angriff. Nachdem die Niederlande nicht nur in der Tiefe den Raum auf etwa zwanzig Meter verengten, wurden sie nun in der Breite zusätzliche von der Seitenlinie unterstützt. Zudem rückten die Außenspieler (hier Robben und Blind) bis zur Mitte des Spielfeldes ein und verengten den bespielbaren Raum für die Iberer zusätzlich, sodass alle zehn niederländischen Feldspieler auf einer Fläche von gerade einmal 700 Quadratmeterlauerten.

 
Die Auswirkungen dieses massiven Mittelfeld- und Abwehrpressings finden sich neben dem Spielstand, auch in den Statistiken wieder. Spieler, die normalerweise an die hundert Pässe pro Match spielen, erreichten ihre Form nicht einmal ansatzweise: Xavi (78), Busquets (73), Iniesta (68), Xabi Alonso (60). Die taktische Disziplin der gesamten Elftal, auch Sneijder, Robben und van Persie verteidigten für ihre Verhältnisse tief in der eigenen Hälfte, die räumliche Enge bei spanischem Ballbesitz und das sofortige Unterdrucksetzen waren wohl die Hauptgründe weswegen der Weltmeister nicht in der Lage war sein kultiviertes Kurzpassspiel aufzuziehen.

Offensive: Lange Bälle hinter die Abwehr
Schließlich hatte Louis van Gaal in der Offensive ein für niederländische Verhältnisse wahrlich untypisches Mittel parat: lange, hohe Zuspiele. Schon im Halbfinale der Champions League zeigte Real Madrid gegen Bayern München, wie schnelle Spieler einen hochstehenden Gegner verwunden können. Dies versprach auch freitags Erfolg. Kurz vor dem Ausgleich wurde Robin van Persie nach einen Flugball von Martins Indi noch wegen Abseits zurückgepfiffen (36.). Wenige Minuten später war ein ähnliches Zuspiel von Blind auf den selben Adressaten erfolgreich. Auf den Ausschnitten ist zu erkennen, dass van Persie beim Abspiel von Blind noch gut dreißig Meter bis zur gegnerischen Torlinie vor sich hat, also massig Raum. Den Sprint beginnt van Persie allerdings schon bei der Ballmitnahme von Blind, da sind es sogar noch etwa 35 Meter. Wunderbar zu erkennen ist auch die längere Reaktionszeit von Sergio Ramos im Vergleich zu van Persie. Ist der Niederländer im ersten Ausschnitt noch zwei Meter hinter Ramos, aber bereits voll in der Bewegung, hat der Niederländer im zweiten Ausschnitt bereits einen Meter Vorsprung auf den jetzt erst startenden spanischen Innenverteidiger.


 

Das 2:1 war dann fast eine Kopie des Ausgleichs. Blind mit einem gehobenen Zuspiel aus dem linken Halbfeld, in den Rücken des ballnahen Innenverteidigers. Robben deutet per Bogenlauf mustergültig einen Sprint die Linie entlang an und driftet ins Zentrum. Auf Grund der verzögerten Reaktion und der ohnehin geringeren Geschwindigkeit hechelt Pique Robben bereits meterweit hinterher. Ramos rückt wiederum zu spät ins Abwehrzentrum und rechnet darüber hinaus erst gar nicht, dass der Flügelspieler von Bayern München Blinds Zuspiel direkt verarbeiten könnte, wodurch der Innenverteidiger von Real Madrid seinen Laufweg anpassen muss und wiederum Distanz zu Ball und Gegner verliert.


Ähnliches Bild beim fünften Treffer. Der Ball befindet sich am Strafraum der Niederländer, die spanische Abwehr steht demnach sehr hoch. Sneijder leitet mit einem langen Zuspiel 23 Meter vor dem eigenen Tor(!) auf Robben den Konter ein. Zu diesem Zeitpunkt steht Ramos, der letzte Verteidiger und später dann Gegenspieler im Sprintduell, etwa 15 Meter näher am Tor der Spanier als Robben. Weil sich Ramos beim Zuspiel aber nicht sofort fallen lässt und darauf spekuliert Robben noch in einen Zweikampf zu verwickeln, ist der Raumvorsprung für Ramos bereits an der Mittellinie egalisiert. Damit ist es ihm nicht mehr möglich das Spiel zu verzögern um Unterstützung durch Mitspieler zu erhalten oder Robben zu lenken und verstrickt sich damit in ein Sprintduell mit Robben.

Fazit
Defensiv machten die Niederländer die Räume für den Weltmeister fast schon zynisch eng und verschoben in diesem kompakten Block dermaßen diszipliniert, sodass es für die Spanier kaum Möglichkeiten gab sich mit Hilfe ihres geliebten Tiki-Taka durch das engmaschige Defensivnetz der Niederländer zu kombinieren. Ballbesitz ist nun mal nicht alles. Van Gaals Jungs machten auch in der Abwehr des Weltmeisters die Schwachstellen aus: Der gewaltige Raum hinter der hochstehenden Abwehr, der durch Zuspiele auf die flinken van Persie und Robben handbuchmäßig genutzt wurde. Diese zwei taktischen Vorgaben könnten gegen die Spanier bestimmt auch noch von anderen Nationen mustergültig umgesetzt werden, von den taktisch hervorragenden Italiener mit Immobile und Insigne, Deutschland mit den schnellen Müller, Schürrle und Podolski oder die robusten Argentinier mit di Maria, Messi und Agüero.