Dienstag, 6. Januar 2015

Geld wirkt, Tore wirken besser



Für die meisten Fußballer in Europa ist Winterpause, für Fußballmanager geht es während der Feiertage hingegen ums große Geld. Nach der Fußball-WM im Vorjahr investierten die Klubs 2,3 Milliarden Euro in Personal.

Das schöne Spiel, wie Fußball bezeichnet wird, ist auch das teuerste Spiel. Bereits im Sommer 2014 investierten Europas Fußballvereine rund 2,3 Milliarden Euro in neues Personal. Und während sich die Wirtschaftswelt mit Rezessionssorgen plagt und die Konjunkturprognosen sich an Pessimismus überbieten, überschlagen sich dieser Tage die Gerüchte über mögliche Millionentransfers in der Fußballwelt. Superstar Lionel Messi von Barcelona zu Chelsea London, Weltmeister Lukas Podolski von Arsenal zu Inter Mailand? Das Milliardenkarussell Fußball dreht sich weiter, kennt scheinbar keine Konjunkturflaute.

Die Klubs der Premier League in England gaben 2014 allein mehr als eine Milliarde Euro aus. Das ist viermal so viel, wie die Klubs der deutschen Bundesliga springen gelassen haben. Ist Englands Liga also viermal so gut wie die deutsche, aus deren Korporationen sich immerhin die Weltmeistermannschaft rekrutierte? Der Preis des Personals allein reicht wohl kaum als Indikator für die Qualität einer Mannschaft und ihrer Durchsetzungsfähigkeit auf dem Markt. Aber das gilt für alle Branchen. Die teuersten Komiker sind nicht immer die besten. Und was die bestbezahlten (US-)Bankmanager wert sind, hat die Welt ja vor einigen Jahren leidvoll erfahren.

19,9 Milliarden Euro Umsatz. Angesichts des Marktvolumens relativieren sich die ungeheuren Preise für Kicker. Dem „Annual Review of Football Finance“ des Wirtschaftsprüfungsunternehmens Deloitte zufolge kletterten die Einnahmen der fünf großen europäischen Ligen 2012/13 (die Zahlen für 2013/2014 sind noch nicht bekannt) kumuliert auf 9,8 Milliarden Euro. Das ist eine Steigerung um fünf Prozent im Vergleich zum Jahr zuvor. Die englische Premier League verdiente das größte Kuchenstück: 2,9 Milliarden Euro. Deutschland etablierte sich als Nummer zwei (2,1 Milliarden Euro), vor Spanien (1,9), Italien (1,7) und Frankreich (1,3). Alle anderen Ligen nahmen noch einmal so viel ein wie diese fünf allein. Der Gesamtumsatz in Europa wird von Deloitte mit 19,9 Milliarden Euro (plus zwei Prozent) beziffert.


Die Konzentration des Kapitals auf einige wenige, immer größer werdende Konzerne ist auch im Vereinsfußball zu beobachten. Manchester United kaufte für rund 105 Millionen Euro neue Spieler ein. Das sind zwei Drittel der Ausgaben der gesamten deutschen Bundesliga. Der Klub kann sich das locker leisten. Der Gewinn lag 2012/13 weit über 100 Millionen Euro, bei einem Umsatz von rund 424 Millionen.

Wie gnadenlos der Wettbewerb an der Spitze ist, zeigen die Aussichten auf die aktuelle Saison. Manchester United beendete die Premier League als Siebenter. Daher entfallen die Einnahmen aus der Champions League. Sie betrugen in den abgelaufenen Jahren stets zwischen 40 und 55 Millionen Euro, also bis zu einem Zehntel der Einnahmen. Der Gewinn wird daher im kommenden Jahr geringer ausfallen. Da der Autokonzern Chevrolet für einen Vertrag über sieben Jahre als Leiberlsponsor 432 Millionen Euro zahlt, halten sich die auf rund 30 Millionen geschätzten Budgetkürzungen allerdings in Grenzen.

In der Football Money League, die Vereine nach ihrem wirtschaftlichen Muskel reiht, hat Manchester United 2013 zum ersten Mal an der vierten Stelle rangiert. Viele Jahre hatten die Engländer diesen Wettbewerb dominiert, doch Real Madrid (Umsatz 2013: 519 Millionen Euro) und der FC Barcelona (483) sind inzwischen um ein Eck potenter. Bayern München (431) quetschte sich an Manchester vorbei auf den dritten Platz. Nicht zuletzt dank der Triple-Saison 2012/13, in der die Bayern die deutsche Meisterschaft, den Cup und die Champions League gewannen.

Österreichische „Armenliga“. Österreichs zehn Bundesligaklubs wirken dagegen wie Nebenerwerbskicker. Sie setzten 2012/13 rund 152 Millionen Euro um. Das ist ungefähr der Gewinn von Manchester United. Und würde nicht Red-Bull-Chef Dietrich Mateschitz für RB Salzburg rund 61 Millionen Euro springen lassen, würde Österreichs „Armenliga“ noch trauriger ausschauen. Da heuer kein Klub in der Champions League spielt und die Salzburger Österreichs einziger verbliebener Vertreter in der Europa League sind, gehen nicht nur die Marktpräsenz, sondern auch Einnahmen flöten. Aufgrund der unterschiedlichen Anzahl der Vereine ist freilich eher der durchschnittliche Umsatz und weniger die Gesamtsumme aussagekräftig. Liegt der Schnitt von Österreichs Vereinen (dank RB Salzburg) bei rund 15Millionen, beträgt er in Englands Premier League rund 158 Millionen Euro.


Wie das Geschäft geht, zeigen aber nicht die Engländer vor, sondern die Deutschen. Deren Bundesliga ist nicht nur umsatzmäßig die zweitstärkste der Welt, sondern auch die solideste. 2013 steigerte sie zum neunten Mal hintereinander die Umsätze (um 91 Millionen oder 4,4 Prozent) auf 2,1 Milliarden. In diesen neun Jahren haben sich die Einnahmen in der deutschen Eliteliga beinahe verdoppelt. Selbst die zweite deutsche Bundesliga nimmt weit mehr als doppelt so viel Geld ein wie die oberste Spielklasse in Österreich. Hierzulande kann sich kaum ein Klub aus den Einnahmen (Ticketverkauf, TV-Rechte, Marketing-Merchandising) selbst erhalten. Sogar der weitaus beliebteste Klub, Rapid, kalkuliert Jahr für Jahr mit einem Defizit von rund zwei Millionen Euro, das die Einnahmen aus einem internationalen Wettbewerb (heuer eine grüne Null) oder Gönner ausgleichen. Oder niemand. Österreichs Profifußball ist ein hoffnungsloser Zuschussbetrieb. Von den Kosten der Infrastruktur (Stadion, Zubringerstraßen, Trainingsplätze) gar nicht zu reden, sie werden landauf, landab von der öffentlichen Hand errichtet und instand gehalten. Die Vereine mieten sich ein.

Ganz anders in Deutschland. Dort erzielten die 18 Bundesligavereine in der Saison 2012/13 kumuliert einen Gewinn von rund 62 Millionen Euro. Sonst ist nur die Premier League mit einem Überschuss (96 Millionen) gesegnet.

In Spanien, Italien und Frankreich generieren die Spitzenligen ein Defizit. Die Implementierung der Financial-Fair-Play-Regelung 2013/2014 führte allerdings auch dazu, dass sich das Verhältnis von Personalkosten und Einnahmen normalisierte.

In diesem Zusammenhang ist auch interessant, dass das schweizerische International Center for Sports Studies die für Topspieler bezahlten Preise für neue Spieler in der Mehrzahl für krass übertrieben hält. So habe Manchester United für Ángel di María (Kaufpreis 75,5 Millionen Euro) an Real Madrid rund 30 Millionen zu viel bezahlt.

Manchester United wird das nicht kümmern, die Ankunft eines neuen Mitbieters um Rechte für TV-Übertragungen und Verwertungen in digitalen Plattformen (Handy, Apps, iPad) namens BT Sport treibt in England die Erlöse auf dem Broadcasting Sektor in die Höhe. Seit der vergangenen Saison ist ein Live-Match der Premier League rund acht Millionen Euro wert. Die 20Klubs der österreichischen Bundesliga verwerten ihre Rechte pro Jahr mit rund 13 Millionen Euro.


Quelle: Die Presse, 04. Jänner 2015
 

Donnerstag, 1. Januar 2015

„Die Spieler tun mir leid“


Mehr als zehn Jahre lang war Thorsten Rarreck der Vereinsarzt des Fußball-Bundesligisten Schalke 04. Bis Oktober. Dann kam mit Roberto di Matteo ein neuer Trainer, der auf ein neues Ärzteteam setzte. Seitdem konzentriert sich Rarreck voll auf seine Praxis in Gelsenkirchen. Wir sprechen mit ihm über Medikamente und Schmerzmittel im Fußball.

Bei der Weltmeisterschaft standen Lahm, Schweinsteiger und Neuer auf dem Platz. Die waren kurz vorher noch schwer verletzt. Verlief die Genesung nicht erstaunlich schnell?
Bei Manuel und Philipp kannte ich die Diagnosen. Mir war klar: Das ist zu schaffen. Hinzu kommt, dass die beiden gewohnt sind, mit Schmerzen umzugehen.

Welche Rolle spielt der Einsatz von Schmerzmitteln?
Die spielen sicherlich eine Rolle. Man kann viel darüber spekulieren, ob ein Einsatz ohne Schmerzmittel möglich gewesen wäre.

Wie verbreitet ist der Einsatz von Schmerzmitteln im Profi-Fußball?
Das hat stark zugenommen in den letzten Jahren. Es gibt Zahlen, wonach mehr als zwei Drittel der Sportler regelmäßig Schmerzmittel einnehmen, um trainieren und spielen zu können.

Kann man Leistungssport überhaupt ohne solche Mittel ausüben?
Wenn ich mir die Zahlen ansehe, muss ich sagen: offensichtlich nicht.

Über welche Mittel reden wir?
Ich spreche von nicht-steroidalen Antirheumatika wie Ibuprofen oder Diclofenac. Die müssen nicht mal im Voraus angegeben werden. Nur wenn bei Dopingtests nachgefragt wird, müssen sie genannt werden. Dann heißt es zum Beispiel: Schwere Prellung, drei Tage Ibuprofen, je drei mal 800 Milligramm. Das ist erlaubt – aber bedenklich.

Können Sie das als Arzt noch verantworten?
Da muss jeder für sich die Grenze setzen. Für mich ist das Ende der Fahnenstange erreicht. Sportmediziner für einen Bundesliga-Klub zu sein, hat sicherlich nichts mit Naturheilkunde zu tun. Wer da was anderes behauptet, der kennt die Szene einfach nicht.

Sie waren in dieser Szene lange dabei.
In meiner Brust schlagen zwei Herzen. Das Herz des klassischen Schulmediziners sagt: Es hilft doch nichts. Rein damit, sonst kann der nicht spielen. Der Naturkundler in mir sagt: Es ist ja unglaublich, was hier passiert! Stellen Sie sich vor, Sie hauen sich immer wieder mit einem Hammer auf den Finger. Aber Sie hören nicht damit auf, sondern nehmen ein Schmerzmittel, damit es nicht mehr weh tut. Das ist nicht nur absurd, sondern auch gefährlich.

Wo liegen die Gefahren?
Statt die Selbstheilungskräfte des Körpers zu fördern, werden sie unterdrückt. Außerdem greifen diese Mittel alle möglichen Organsysteme an – Niere, Leber, Magen, Herz- und Kreislaufsystem. All das muss regelmäßig und ausreichend überwacht werden.

Sollte der Gebrauch eingeschränkt oder verboten werden?
Ja, da muss sich etwas tun. Es gibt ja auch Bestrebungen der internationalen Dopingkommission, wonach der Gebrauch von Schmerzmitteln massiv eingeschränkt werden soll. Wenn das in ein paar Jahren so kommt, wird es einen Aufschrei in der Szene geben.

Wie verbreitet sind Spritzen?
Es ist nicht so, dass die Hälfte der Mannschaft mit Spritzen fit gemacht wird, das betrifft einzelne Spieler. Verbreitet sind Spritzen in und am Gelenk mit Lokal- Anästhetika oder Kortikoiden. Zum Zwecke der Schmerzlinderung macht Kortison vielleicht Sinn, weil es die Entzündung hemmt. Aber es hat den negativen Effekt, dass das Gewebe dadurch weicher wird. Man fühlt sich zwar belastbarer, aber das Gegenteil ist der Fall. Dadurch können chronische Schäden an Gelenk, Knorpel oder Sehne entstehen. Ich bin gegen solche Behandlungen, außer vielleicht in ganz seltenen Fällen.

In welchen?
Vielleicht kann man vor einem Endspiel drei Augen zudrücken. Aber regelmäßige Anwendungen lehne ich absolut ab.

Werden die Spieler von den Vereinen gedrängt, schnell wieder auf dem Platz zu stehen?
Man darf sich das nicht so vorstellen, dass beispielsweise ein Manager ankommt und verlangt: Du musst jetzt auch mit Beschwerden spielen, wir brauchen dich!

Wie denn?
Die Spieler stehen unter großem Druck. Sie wollen selber unbedingt spielen, oft geht es beispielsweise darum, einen neuen Vertrag zu bekommen. In dieser Situation besorgen sie sich teilweise bestimmte Medikamente, um weitermachen zu können. Darüber redet man aber nicht, auch wir Ärzte erfahren vieles nicht.

Stehen die Ärzte unter Druck?
Ich persönlich habe es in 20 Jahren nicht erlebt, dass man mich bedrängt hätte, einen verletzten Spieler auf den Platz zu schicken. Es war allen klar, dass ich nicht über ein bestimmtes Maß, das ich als Arzt vertreten kann, hinausgehen würde. Da bin ich stur wie ein Esel.

Und Ihre Kollegen?
Ich weiß nicht, wie andere das im Einzelnen handhaben. Es mag sein, dass Sportmediziner, die neu in die Szene kommen, eher geneigt sind, dieses Spiel mitzuspielen und harte Sachen zu geben. Wobei wir in Deutschland sehr gut ausgebildete seriöse Sportmediziner haben. Das habe ich in anderen Ländern zum Teil anders erlebt.

Denken Sie an einen konkreten Fall?
Ein Spieler aus einer ausländischen Nationalmannschaft kam zurück von einer Meisterschaft. Er hatte dort mit einem frischen Bänderriss im Sprunggelenk spielen müssen. Die Ärzte hatten ihm jeden dritten Tag hochdosiert Kortison mitten in das verletzte Band gespritzt. Das Gelenk sah furchtbar aus.
Konnte der Mann denn problemlos spielen?
Problemlos nicht, aber er war irgendwie einsatzfähig.

War diese Art der Behandlung legal?
Bisher leider ja. Ich hoffe, so etwas wird in drei, vier Jahren ganz verboten sein – zum Schutz der Spieler. In Deutschland wäre so ein Fall auch jetzt schon undenkbar.

Unter deutschen Sportmedizinern war Actovegin lange Zeit sehr beliebt. Ein Mittel, das direkt in den Muskel gespritzt wird. Was hat es damit auf sich?
In meiner Anfangszeit Ende der 80er-Jahre habe ich das auch eingesetzt. Es handelt sich um ein Mittel, das aus Kälberblut extrahiert wird. Es unterstützt eine Einsprossung von neuem Bindegewebe, den sogenannten Fibroblasten. Insbesondere Muskelverletzungen können dadurch tatsächlich schneller ausheilen. Ich bin davon aber abgekommen.

Warum setzen Sie das Mittel nicht mehr ein?
Ich habe bei einem Profi-Tennisspieler einen anaphylaktischen Schock gesehen. Er hat massiv allergisch auf das Kälber-Eiweiß reagiert – und wäre fast daran gestorben. Zufällig war damals ein Anästhesist dabei, der ihm das Leben gerettet hat. Danach war Actovegin für mich tabu. Allerdings ist das Mittel damals intravenös verabreicht worden.

...was heute verboten ist.
Richtig. Erlaubt ist inzwischen nur noch die lokale Anwendung, direkt in das Gewebe injiziert. Aber auch in diesen Fällen setze ich heutzutage lieber  Eigenblut ein, welches dank einer speziellen Zubereitung mindestens die gleiche heilungsförderliche Wirkung auf das Gewebe hat.

Gibt es überhaupt eine Möglichkeit festzustellen, ob Actovegin in die Blutbahn oder in einen Muskel gespritzt wurde?
Theoretisch ist es feststellbar, es dürfte aber ziemlich aufwendig sein. Mit den derzeit angewendeten herkömmlichen Tests kann man es nicht feststellen.

Man müsste dafür eine Blutprobe entnehmen?
Richtig, aber bei der Blutprobe wird garantiert nicht auf Actovegin getestet.

In manchen Ländern ist Actovegin überhaupt nicht zugelassen.
Es gibt für mich verschiedene Gründe, warum ich Actovegin nicht mehr anwende. Es handelt sich aber nicht um ein Dopingmittel, wenn man es lokal anwendet; dann dient es nicht der Leistungssteigerung. In Deutschland ist es sowieso nur noch schwer zu bekommen.

Bekannt geworden ist Actovegin in Deutschland auch durch Dr. Müller-Wohlfahrt, dem Arzt des FC Bayern und der Nationalmannschaft.
Es scheint so, als setze er Actovegin immer noch ein. Das sei ihm als Erfahrungsheilkundler, der über großes Wissen und viel Erfahrung verfügt, auch zugestanden. Ich kenne Dr. Müller-Wohlfahrt gut und ich weiß, dass er sehr konservativ vorgeht. Er würde niemals die Gesundheit der Sportler auf‘s Spiel setzen.

Wir haben bisher über Medikamente gesprochen, deren Einsatz alle legal ist. Kommen auch unerlaubte Mittel zum Einsatz?
Ich glaube nicht, dass es im deutschen Fußball systematisches Doping gibt. Zum einen werden wir dermaßen eng kontrolliert – beim Training, nach dem Spiel, selbst zu Hause.

Bluttests wurden bis vor kurzem in der Bundesliga nicht durchgeführt.
Ja, das ist jetzt die zweite Saison, in der Bluttests durchgeführt werden.

Ein Großteil der Doping-Mittel kann aber nur mit Bluttests nachgewiesen werden.
Das ist schon richtig, aber Mittel wie Anabolika und Stimulanzien, die beim Fußball Sinn ergeben könnten, können durchaus im Urin nachgewiesen werden.
 
Wie oft werden Fußballspieler in der Bundesliga auf Doping getestet?
Zwei bis drei Mal in der Saison. Bei internationalen Wettbewerben wird oft die gesamte Mannschaft getestet. Wir hatten auch Phasen, in denen die Kontrolleure im Training oder beim Spiel zwei bis drei Spieler rund sechs bis sieben Mal im Monat getestet haben. Das ist schon eine engmaschige Kontrolle.

Halten Sie den Fußball für weniger anfällig als andere Sportarten?
Ein Sprinter muss nur seine Schnellkraft verbessern, ein Gewichtheber die Maximalkraft. Im Fußball ist es viel schwieriger, etwas mit bestimmten Dopingmitteln zu erreichen. Es kommt auf so viele verschiedene Faktoren wie Ausdauer, Schnelligkeit, Kraft, Koordination und Taktik an.

Wie hat sich der Fußball in den vergangenen Jahren verändert?
Die Spieler laufen mindestens zwei bis drei Kilometer mehr pro Spiel als noch vor zehn bis 15 Jahren. Außerdem haben sie bis zu zehn Pflichtspiele mehr pro Saison. Darüber hinaus darf nicht der mediale Druck vergessen werden.

Ist die Grenze der Belastbarkeit erreicht?
Diese Frage müssen sich alle Beteiligten stellen, und die Belastbarkeit weist erhebliche individuelle Unterschiede auf. Der jetzige Rhythmus im Profi-Fußball ist jedenfalls grenzwertig. Selbst mit optimalen präventiven Maßnahmen lassen sich nicht alle Verletzungen im Fußball verhindern. Es handelt sich nun mal um eine sehr verletzungsträchtige Aggressiv-Sportart.

Die Belastung wird durch Turniere wie die Fußball-WM noch verschärft.
Absolut. Mir tun die Spieler wirklich leid. Das geht weit über das hinaus, was für den Körper noch gut ist. Dahinter stecken natürlich auch knallharte kommerzielle Interessen.

Bei Schalke 04, ihrem ehemaligen Verein, gab es in dieser Saison eine Serie von Verletzungen. Gab es deshalb Vorwürfe?
Nein, im Gegenteil. Ich habe ein umfassendes Präventionskonzept vorgelegt, dass der Verein nun Stück für Stück umsetzt. Julian Draxler und Benedikt Höwedes haben in der Saisonvorbereitung ja selbst öffentlich gesagt, dass man in diesem Bereich immer weiterarbeiten müsse. Die Verletzungen betreffen ja alle Spitzenklubs gleichermaßen.

Warum sind Sie jetzt nicht mehr Mannschaftsarzt?
Der Grund war einfach, dass sich der neue Trainer andere Anwesenheitszeiten für den Mannschaftsarzt wünschte. Die ließen sich aber nicht mit dem Betrieb meiner Praxis in Einklang bringen.

Was würden Sie jungen Kollegen mit auf den Weg geben?
Voraussetzung sind neben der unermüdlichen Einsatzbereitschaft rund um die Uhr überdurchschnittliche Fähigkeiten was Diagnosestellung, Erste-Hilfe- Maßnahmen, Rehaplanung und Teamgeist anbetrifft. Ein Aspekt, der oft unerwähnt bleibt, ist aus meiner der wichtigste: die Prävention. Als Ärzte sollten wir auf das Verhalten des Sportlers einwirken, bevor es zu Verletzungen kommt.

Das bedeutet konkret?
Es beginnt beim individuellen Training der motorischen Hauptbeanspruchungsform Kraft, Dehnbarkeit, Koordination, Ausdauer und Schnelligkeit. Ein weiterer Faktor ist die Ernährung. Nährstoffe sollten individuell gezielt nach Blutanalysen gegeben werden, statt unspezifisch Vitamine hochdosiert zu verabreichen. Wir nennen das „metabolisches Tuning“. Diese Art von 'legalem Doping' ist bei Weitem noch nicht ausgereizt. Und es kommt entscheidend auf mentales Stressmanagement an. Hierbei müssen durch gezieltes Coaching leistungsmindernde und verletzungsförderliche Denkmuster abgebaut werden.


Quelle: Handelsblatt online, 31.12.2014