Schon Tage
vor dem großen Spiel gab es enormes Trara um die Startaufstellungen beider
Teams. Bei den Königlichen stand hinter Cristiano Ronaldo und Bale ein dickes
Fragezeichen. Die Zweifel zerstäubten sich aber bereits 24 Stunden vor Anpfiff.
Mit größeren Schwierigkeiten hatten die Rojiblancos zu kämpfen. Um ihren
zweitgefährlichsten Torschützen in dieser CL-Saison, Arda Turan, waren
ebenfalls schon tags zuvor alle Zweifel aus der Welt: Der Türke würde für einen
Einsatz nicht fit. So rückte Raul Garcia in die Startelf. Und Atleticos
Torjäger vom Dienst, Diego Costa, laborierte seit dem Meisterschaftsfinale
gegen Barcelona an muskulären Problemen im Oberschenkel. Ein Muskelfaserriss
wurde gemutmaßt. Anundfürsich eine Verletzung deren Regeneration drei, vier
Wochen in Anspruch nimmt. Nach Costas Besuch bei einer Wunderheilerin in
Belgrad sollte dieser bereits nach einer(!) Woche wieder spielfähig sein.
Ansonsten gab es personell keine unerwarteten Entscheidungen. Für den
verletzten Pepe rückte Varane ins königliche Abwehrzentrum, statt dem
gesperrten Xabi Alonso durfte der Deutsche Khedira ran. Bei Atletico startete,
wie oben bereits erwähnt, Raul Garcia an Stelle Arda Turans.
Zerfahrene
Anfangsphase, keine Wunderheilung
Beide
Mannschaften waren in den ersten zwanzig Minuten in diesem Finale nicht im
Stande ein flüssiges Spiel zu entwickeln. Die Anfangsphase war geprägt von
Spielunterbrechungen und fehlender Passgenauigkeit wodurch beide Mannschaften
nicht in der Lage waren nur eine Aktion gefährlich auf das Tor abzuschließen;
dennoch bot sich ein temporeiches Spiel. Schließlich musste Diego Costa bereits
früh wegen seiner Oberschenkelverletzung das Feld verlassen (9.). Simeone hatte
diesbezüglich hoch gepokert und eine wichtige Auswechslung vergeudet.
Frühes
Pressing oder tiefes Stehen
Atletico
zeigte im Defensivspiel zwei Gesichter. Verloren die Colchoneros weit in der
gegnerischen Hälfte den Ball, versuchten sie diesen schnell wieder
zurückzuerobern. Im Beispiel landet ein langes Zuspiel von Juanfran direkt beim
Gegner. Das aufgerückte Atletico zieht sich aber nicht zurück, sondern versucht
den Ball nahe dem gegnerischen Tor wiederzuerobern, umso die Distanz zum Torabschluss
möglichst gering zu halten. Gleich sechs Spieler pressen in dieser Situation
tief in der Hälfte von Real.
Gelang es
den Königlichen aber ihr Aufbauspiel bis über die Mittellinie aufzuziehen,
rückte Atletico tief in die eigene Hälfte zurück und formierte sich in einem
1-4-4-1-1. Dieses Szenario fand im Spiel weitaus öfter statt als ersteres. Die
Abwehrviererkette orientierte sich stets an der Strafraumgrenze, die
Viererkette im Mittelfeld stand etwa sechs bis acht Meter vor ihr. Näherte sich
Real dem Kasten von Atletico ließen sich die beiden Reihen bis auf Höhe der
roten Linien fallen und verengten so den Raum zum Tor zunehmend. Außerdem
unterstützten die beiden Angreifer beim Verteidigen, wobei der ballferne
Stürmer stets nach hinten abfiel und so einen der zwei zentralen offensiven
Mittelfeldspieler (in diesem Fall Modric) als potentielle Anspielstation aus
dem Spiel nahm.
Schnelligkeit
ist Trumpf
Schon gegen
die Bayern erwies sich dies als Vorteil. Nur zu gut wird jedem das Tor zum 0:3 in
München von Cristiano Ronaldo in Erinnerung sein. Ein Konter wie aus dem
Lehrbuch, der neun Sekunden nach der Balleroberung am eigenen Strafraum im
Münchener Tor endete. Wenn ein Trainer über Raketen wie CR7, Bale und Di Maria
verfügt, sollte diese Spielart nicht weiter verwundern. Im Auswärtsspiel in
München machten die Bayern den Madrilenen allerdings den Gefallen, ihnen massig
Raum zur Verfügung zu stellen, wo Bale und Co. hineinstachen. Simeone ordnete
seine Jungs aber wie gewohnt tief an, wodurch die Räume für Sprinter kleiner
werden und sie somit nicht ihre Höchstgeschwindigkeit entfalten können. So kam
Real nur selten in den Genuss diese Stärke auszuspielen. In der 24. Minute nach
einem Fehlpass von David Villa, spielte Benzema den Konter nicht sauber zu
Ende. Und in der 26. Minute, als Di Maria eine Atletico-Ecke am eigenen
Strafraum erobert und acht Sekunden später am gegnerischen Sechzehner nur durch
ein Foul gestoppt werden konnte.
Marcelo und
Isco beleben Offensive
Im zweiten
Durchgang brachte besonders die Einwechslung von Marcelo Schwung in die
Offensivbemühungen der Königlichen. Im selben Zeitraum spielte der Brasilianer
50 Pässe (80% angekommen), im Gegensatz zu seinem Vormann Coentrao (27; 74%).
Immer wieder tauchte Di Maria in Kombination mit Marcelo (70.) über links oder
in persona Gareth Bale (73., 77.) gefährlich im Strafraum Atleticos auf. Modric
interpretierte seine Rolle im zentralen Mittelfeld, ähnlich wie Khedira, aber
wie für den Kroaten gewohnt, tiefstehend. Da Di Maria oftmals auf den Flügel
auswich um so seine Schnelligkeit zu entfalten und Cristiano Ronaldo eher ins
Sturmzentrum rochierte als ins offensive Zentralmittelfeld, entstanden bei Real
zwischen Mittelfeld und Sturm große Räume, die allenfalls noch der ins Zentrum
kippende Bale stopfte. Worunter besonders Karim Benzema litt, der bis zu seiner
Auswechslung kaum am Spiel teilnahm. Der Franzose feuerte keinen einzigen
Schuss ab, berührte den Ball nur 29-Mal und gewann von seinen elf Zweikämpfen
(bei Real bestritt nur Iker Casillas weniger) nur fünf. Ein weiterer Grund
waren die konservativ tief stehenden Außenverteidiger von Atletico, die sich
nur selten mit ins Angriffsspiel einschalteten. Dies belegen die von Filipe
Luis (24 Pässe in 83 Minuten) und Juanfran (19 in 120 Minuten) gespielten
Pässe. So zogen Bale und Di Maria oft per Dribbling ins Zentrum. Schließlich
revitalisierte die Einwechslung von Isco das Angriffsspiel des weißen
Ballettes, der diese Lücke zwischen Sturm und Mittelfeld zu füllen wusste (93%
seiner 43 Pässe fanden einen Mitspieler) und Bale eher die Möglichkeit gab, die
rechte Flanke zu halten.
Pfostendeckung
Ob
Mannschaften bei gegnerischen Eckstößen nun Spieler an den kurzen und/oder
langen Pfosten stellen, ist von Trainer zu Trainer unterschiedlich. Grundsätzlich
ist der Gedanke: Steht keiner am Pfosten, bin ich im Raum in Überzahl und
erhöhe so die Wahrscheinlichkeit den Kopfball zu gewinnen. Dagegen spricht,
dass der Torhüter kaum im Stande sein wird, aus solch kurzer Distanz das
gesamte Tor abzudecken. Insofern würden Verteidiger an beiden Pfosten, die vom
Keeper abzudeckende Fläche von 7,32 Metern Seitenlänge um etwa zwei Meter
verringern. Fakt ist, dass Atletico gestern komplett auf eine Pfostendeckung
verzichtete und dadurch den Ausgleich in letzter Sekunde hinnehmen musste.
Selbst Thibaut Courtois mit seinen 1,99 Meter war nicht in der Lage den Ball
aus dem Eck zu fischen. Und obwohl Atletico im gefährlichen Raum eine
9:5-Überzahlsituation(!) hatte, ging der Kopfball dennoch verloren.
Das Tor verteidigen
Zwei
wesentliche taktische Anweisungen beim Defensivspiel, die ein Spieler schon in
der U12 lernt sind: „Direkte Linie zum Tor verteidigen“ und „Mitte zumachen“.
Beim alles entscheidenden 3:1 durch Marcelo beging Atletico beide Fehler.
Zuerst ließ sich Godin aus der Deckung locken und überließ in seinem Rücken
einen riesigen Raum, wohin Marcelo mit hohem Tempo dribbelte.
Schließlich
agierten auch Godins Hintermänner nicht fehlerlos. Erst als Juanfran
realisiert, dass Tiago Marcelo nicht mehr in einen Zweikampf verwickeln kann,
beginnt dieser ins Zentrum zu rücken. Ebenso versucht der eingewechselte
Alderweireld erst jetzt die direkte Linie zum Tor zu verstellen. Der
angeschlagene Juanfran, der sich seit Beginn der Verlängerung über den Platz schleppte,
da Simeone keine Möglichkeit mehr hatte zu wechseln, war nicht mehr im Stande
die Lücke zu schließen und wurde außerdem durch Morata irritiert. Auch
Alderweireld wirkte etwas desorientiert.
Fazit
Schließlich
wirkten sich drei wesentliche Ereignisse unmittelbar auf den Spielausgang und
negativ für Atletico aus:
1. Simeone
verschenkte mit seiner spekulativen Aufstellung von Diego Costa eine in einem
hundertzwanzigminütigem Finale wichtige Auswechslung, die vor allem in der
Verlängerung für frische Defensivkräfte genützt werden hätte können (Juanfran).
2. Atletico
agierte zwar über die gesamte Spielzeit bei gegnerischen Eckstößen ohne
Pfostendeckung. Es stellt sich allerdings die Frage, ob es bei einer Führung in
der Nachspielzeit nicht klug wäre, mit Mann und Maus das eigene Tor zu
verbarrikadieren.
3.
Individualtaktische Fehler besiegelten die Niederlage des Underdogs. Fehler,
die wohl der ermüdenden Konzentration geschuldet waren und so zu einem früheren
Zeitpunkt bei dieser defensiv herausragenden Truppe sicherlich nicht geschehen
wären.
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